Es beginnt mit warten

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„Hmm, was soll ich sagen?“ fragten mich meine Familie und Freunde – „gute Reise“? „schöne Ferien“? „viel Spass“? „gutes Gelingen“? „pass auf dich auf“? – Viel Spass wünsche ich mir, an dem Ort den mich erwartet. In dem Elend, ein Moment der Unbekümmertheit. Doch nicht nur für mich. Vor Allem für sie! Schöne Ferien werden es bestimmt nicht. Eher ein Aufenthalt voller Erlebnisse und prägenden Erfahrungen. Gutes Gelingen? Das liegt nicht an mir. Ich kann nichts bewegen. Nichts, das die Situation wirklich verändert, verbessert oder beendet. Eine gute Reise? Das werde ich haben, mit grösster Wahrscheinlichkeit jedenfalls. Doch eine gute Reise bräuchten andere. Eine sichere Reise.

Vier Stunden Aufenthalt in Istanbul, bevor es weitergeht. Vier Stunden Zeitvertrieb, bis ich weiterreisen kann. Weiter nach Griechenland, nach Thessaloniki. Dort warten andere schon viel länger auf ihre Weiterreise. Sie bewohnen alte Lagerhallen oder zelten im Freien. Seit die Grenzübergänge der Balkanstaaten geschlossen sind bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu warten. Von der Regierung wurden Zelte aufgeschlagen und ein Minimum an Versorgung bereitgestellt. Die medizinische Betreuung ist dürftig und an eine Erfüllung der Menschenrechte ist nicht zu denken. Das Recht auf Privatsphäre ist in solchen Camps nicht zu erfüllen. Das Recht auf Familie und die damit verbundene Zusammenführung mit engen Verwandten in anderen europäischen Ländern ist ein bürokratischer, zeit- und nervenraubender Hürdenlauf ohne allzu grosse Erfolgsaussichten. Das Recht auf Schutz vor Verfolgung wird gewährt, vorübergehend. Doch einen Asylantrag via Skype zu stellen, mit schlechter Internetverbindung, während unzählige andere dies auch versuchen, hat wahrscheinlich schon vielen die letzte Hoffnung geraubt.

Etwas erträglicher wird diese Situation durch private Initiativen, welche unermüdlich Hilfe leisten. Ihre Arbeit hat sich verändert. Erst halfen Sie den Menschen auf den griechischen Inseln aus den überfüllten Booten oder retteten sie vor dem Ertrinken. Dann gaben sie ihnen Kleider und Essen, Informationen zur Weiterreise und etwas Hoffnung mit auf den Weg. Später bildeten sich die ersten Schulen und Küchen. Alles gut dokumentiert in unseren Medien, auf Internetblogs, Facebook, Twitter und in Berichten von internationalen Organisationen. Berichte die erschütterten, berührten und uns alle Nachdenklich stimmten. Berichte, die niemand mehr sehen wollte, die niemand mehr aushalten konnte. So ist es dann auch still geworden, in unseren Medien. Kaum mehr wird berichtet über die Situation der Geflüchteten unterwegs. Kaum einer interessiert sich dafür, wie es den Menschen geht. Es scheint beinahe, als sei kaum mehr jemand unterwegs. Das «Problem» hat sich erledigt, könnte man meinen.

Doch das ist nicht wahr. Es hat sich nichts erledigt. Noch immer flüchten Menschen vor dem Krieg in Syrien, vor dem Daesch (IS) im Irak, vor den Taliban in  Afghanistan, vor dem diktatorischen Regime in Eritrea, vor der Unterdrückung in Tibet, vor den Unruhen im Kongo und vielen anderen Ländern, vor dem Hunger, vor dem Elend und vor dem Tod. In erster Linie flüchten sie dorthin, wo sie bereits Leute kennen. In andere Gebiete des Landes oder in Nachbarländer. Nur wenige wollen nach Europa. Und diese wenigen schaffen es kaum mehr. Sie stecken fest. Sie werden aufgehalten. Aufgehalten vom 7 Meter hohen Grenzzaun, welchen Marokko und die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta trennt. Aufgehalten von der lybischen Küstenwache. Aufgehalten vom türkischen Militär und aufgehalten auch von der europäischen Politik. Seit dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei besteht eine Art Kuhhandel für Flüchtlinge. Die Türkei erhält von der EU Geld für die Betreuung der Geflüchteten, welches zu grossen Teilen auch dazu benutzt wird, sie an der Weiterreise nach Europa zu hindern. Grundsätzlich soll jeder, der die Überfahrt nach Griechenland wagt, in die Türkei zurückgeschickt werden. Für jeden Syrer, der auf diesem Weg in die Türkei überstellt wird, übernimmt die EU einen anderen Syrer aus einem türkischen Flüchtlingscamp. Für alle anderen Nationalitäten wurde die Türkei somit zur Sackgasse. Eine Chance legal nach Europa einzureisen haben also nur Syerer, die in der Türkei bleiben. Das soll jedenfalls vermittelt werden. Doch solche Überführungen nach Europa kommen nur selten zustande. Auch weil kaum jemand ein kleines Vermögen für eine Überfahrt zahlen möchte, wenn er bereits im Vorherein weiss, dass er nach der Ankunft gleich wieder zurückgeschickt wird. Und auch die wenigen humanitären Visa, welche europäischen Staaten für besonders schützenswerte Personen ausstellen, reichen nicht aus. Nicht im Geringsten. So stecken die Menschen fest und warten. Sie warten auf etwas Hoffnung, auf eine Aufnahme in einem sicheren Staat, auf ein Ende des Krieges, auf ein Ende der Konflikte, auf ein Ende des Leides, auf eine Möglichkeit zurückzukehren. Sie warten auf ein sicheres Zuhause. So kann ich getrost mein Zuhause für eine kurze Zeit verlassen und einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass dieses Warten erträglicher wird.

Was mich erwartet weiss ich nicht genau. In Sindos werde ich bei Schwizerchrütz (www.swisscross.ch) arbeiten, später in Petra bei Borderfree Association (www.borderfree-association.ch). So warte ich noch, bis das Flugzeug abhebt. Bis ich da bin. Bis ich weiss, was ich tun kann.

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