Hochzeitsslam – Junessa da chönder vörgessa

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Ich steh jetzt hier, vor dir und dir. Und vor all den andern, die durch den Raum hier wandern oder still am Platz sitzen und heimlich das Essen vom Sitznachbarn stibitzen. Passt auf, denn nichts ist sicher, auch wenn es das eure scheint. Denn manchmal ist Nichts so sicher, wie man es am Anfang meint.

Jaa, Junessa, wie ihr wisst, ist bei mir vieles nicht so sicher. Mein Körper ist nicht sicher vor meinem Übermut, meine Agenda nicht vor meiner Terminflut, mein Gedächtnis funktioniert nicht wirklich gut und manchmal, ja manchmal fehlt mir auch einfach der Mut. Ich bin nicht gut darin, auf Sachen aufzupassen oder darin, den Zug nicht zu verpassen. Ich habe 5 offene Anfragen beim SBB Fundservice, weiss kaum je den Namen meines vis-a-vis, vergesse Geburtstage, Muttertage, Vatertage und manchmal sogar Schul- und Arbeitstage. Doch eins ist bei mir Sicher und zwar das Essen auf meinem Teller. Also, wenn ihr versuchen wollt, euch daran zu bedienen kann ich nur sagen…Junessa da chönd ehr vörgessa.

Aber ja… Das Essen auf dem Teller des Anderen sieht halt auch immer etwas besser aus, als das eigene. Wärmer, saftiger, frischer und besser arrangiert. Keine Frage also, dass wir danach trachten, was wir als besser und schöner betrachten, dass wir ganz ohne Manieren danach gieren, was den Andern, statt uns gehört. Und dieses Gegenseitige wegnehmen und bestehlen erst dann aufhört, wenn wir merken, dass jetzt, wo es uns gehört, uns eigentlich vieles daran stört. All dass, was so perfekt schien, als es noch den anderen war ist dann plötzlich doch nicht mehr so wunderbar. Auf ein Mal hat es Ecken und Kanten, die wir von weitem noch nicht erkannten, hat es Fehler und Tücken, die wir vorher noch unterdrückten. Ist es nicht mehr perfekt, sondern alt und verdreckt.

Doch nicht nur materielles scheint davon betroffen, nein. Es hat den Schein, als ob einige gar hoffen, eine fremde Identität zu übernehmen, den Körper eines anderen zu stehlen und dessen ganzes Leben an sich zu nehmen. Klar, denn im Leben aller anderen scheint ja auch immer alles perfekt zu sein. All diese Selfies mit aufgesetzten Smileys, diese Fotos mit Freunden vor den allerschönsten Casinos und diese Posts auf Facebook wecken den Eindruck, als ob nichts besser sein könnte. Kein Fältchen ist zu sehen, kein trauriges Gesicht, kein wütendes Gedicht. Keine Nachdenklichkeit, keine Traurigkeit, keine Ehrlichkeit und ganz bestimmt auch keine Wahrheit. In dieser aufgesetzten, geschminkten, retouchierten Welt ist es schwierig zu erkennen, dass auch andere ihr Leben nicht als perfekt benennen. Dass auch andere ihre Macken haben und Schmerzen, wenn sie hohe Hacken tragen, dass sie Falten unter dem Make-up tragen und am Arm ne fette Narbe haben. In einer Welt in der sich alle gegen Aussen nur von ihrer besten Seite zeigen, ist es schwierig, niemanden um sein Leben zu beneiden und einfach sich selbst zu bleiben. statt nach fremden Idolen zu streben, einfach das eigene Leben zu leben.

Wenn ihr jetzt denkt, dass es aber einfacher geht, wenn man in einer Beziehung steht, in einer Ehe lebt oder einfach sehr enge Freundschaften pflegt. Dass man sich da ja öffnen kann, auch seine schlechten Seiten zeigen kann, dass man sich gegenüber dem anderen nicht geniert und sich mit allem negativen arrangiert. Dass es keine Diskussionen gibt, keine Enttäuschungen, keine Streitereien und keine schwierigen Phasen. Dann kann ich euch leider nur eines sagen und zwar….Junessa, da chönder vörgessa! Es geht nicht einfach und von selbst, nicht in dieser unseren Welt. Es braucht mehr. Es braucht jeden Tag, jeden Moment, es braucht sehr viel Engagement. Es braucht ehrliche Gespräche und offene Augen. Man muss an sich selbst und die Beziehung glauben, Stück für Stück an der gemeinsamen Zukunft bauen und in dieselbe Richtung schauen. Man muss sich ehrlich Feedback geben, einander offen gegenüberstehen und keinem Streit aus dem Wege gehen. Es braucht viel Arbeit und Schweiss, viel Zeit und viel Fleiss. Es braucht das Versprechen von euch beiden, keine anderen Paare zu beneiden, euch im Guten wie im Schlechten zu vereinen und niemals die kleinen Fehler des anderen zu verneinen. Das Versprechen, zueinander zu stehen, in die gleiche Richtung zu gehen und hinter den Entscheidungen des anderen zu stehen. Keine einfache Aufgabe, also. Doch Junessa…da münd ehr ke angst ha. Da wird bi öi sicha guet gah!

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