Schicksalsberg Moria

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Lesvos ist eine wunderschöne Ferieninsel. Mit schönen Stränden, guten Restaurants, vielen kleinen Dörfern und einer hügeligen und prächtigen Landschaft. Doch Lesvos hat auch eine dunkle Seite. Lesvos war im 2015 einer der Haupt-Ankunftsorte von Menschen, welche von der Türkei nach Europa reisen wollten und dies nicht über einen legalen Weg tun konnten. Darüber habe ich in einem früheren Post bereits berichtet. Natürlich ist nicht das die Dunkle Seite von Lesvos, sondern das, was aus dieser Situation entstanden ist.

Bereits an meinem zweiten Tag auf der Insel hatte ich ein Meeting mit dem Commander von Kara Tepe. Einem Lager für geflüchtete Menschen, in dem vor Allem Familien und Kinder wohnen. Der Commander wirkt böse, auf den ersten Blick. Offenbart dann aber sofort seine Gutmütigkeit und sein grosses Herz, sobald er mit Bewohnern vom Camp spricht. Er begegnet ihnen auf Augenhöhe und nimmt auch die unwichtigsten Sorgen ernst. Während dem Meeting werden wir von einem Mann unterbrochen, der gerne in einen anderen «Container» umziehen möchte. Er erklärt, dass es seiner Frau nicht gut gehe und sie daher einen schönen Platz zum Erholen brauche. Zum Schluss stellt sich heraus, dass mit dem jetzigen Platz eigentlich alles in Ordnung ist, sie aber gern noch einen Schattenspendenden Baum und Meeresblick haben möchten. Sorgen von denen man an anderen Orten, die ich bisher gesehen habe nur träumen kann. Der Commander nahm sich übrigens 20 Minuten Zeit, für den Mann, obwohl wir gerade in einem Meeting waren. Unsere Besprechung war in dem Moment halt einfach weniger wichtig.

Doch auf der Insel gibt es noch ein zweites Camp. Eines, das schon von aussen ganz anders wirkt. Eines, zu dem man als Volunteer oder Organisation nur sehr schwer Zutritt erhält. Eines, von dem die Menschen sich kaum gutes erzählen. Moria ist der offizielle «Hotspot» der Insel. Einer von insgesamt drei, auf den zahlreichen griechischen Inseln, die nahe an der Türkei liegen. Nach der Ankunft werden die Menschen zu diesen Hotspots gebracht, wo sie registriert werden. Das war schon vorher so. Sie wurden registriert und konnten dann mit der normalen Fähre auf Festland weiterfahren. Doch seit dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei, welches im Frühjahr 2016 unterzeichnet wurde ist ihnen das nicht mehr erlaubt. Sie müssen bleiben. Sie stecken fest. Nur spärlich werden Menschen aufs Festland gebracht. Entsprechend überfüllt sind die Hotspots auch. 5’756 geflüchtete Menschen sind gemäss offiziellen Angaben auf Lesvos. Platz gibt es gemäss UNHCR für 4’145. Einige entziehen sich auch der Registrierung, aus Angst vor der Rückschiebung und aus Angst vor dem Gefängnis Moria. Moria sieht nicht aus, wie man sich ein Camp für geflüchtete Menschen vorstellen würde. Oder jedenfalls, wie ich es mir vorgestellt hatte, bevor ich dieses Camp das erste Mal gesehen habe. Es ist umzäunt von Meterhohem Stacheldraht und wird schwer bewacht. Zutritt erhalten nur die «Bewohner» und ein paar wenige Organisationen, die im Innern aktiv sind. Überall stehen Flutlichtscheinwerfer, die ein kaltes Licht über die Anlage werfen. Aussen rum liegt Abfall und Dreck. Vor dem Eingang stehen wenige Fast-Food Wagen, die günstiges Essen verkaufen – an die wenigen, die sich sowas überhaupt noch leisten können. Für alle anderen ist das fade Militäressen die einzige Alternative. Es wird nur zu bestimmten Zeiten ausgegeben. Wer zu spät kommt hat Hunger. Moria wirkt nicht wie ein Camp. Moria wirkt wie ein Gefängnis. Ein Hochsicherheitstrakt für Schwerkriminelle. Draussen vor dem Eingang traue ich mich kaum, ein Foto zu machen

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Moria – entrance

Doch Schwerkriminelle sind es ganz und gar nicht. Natürlich hat es einige oder auch mehrere Leute im Camp, die Verbrechen verüben. Solche die stehlen, dealen, kämpfen. Doch es gibt auch viele andere. Das Team Schwizerchrüz (www.swisscross.help) baut auf der Insel gerade ein Community Center. Es soll eine Schule geben, ein Kaffee, eine Küche, eine Bibliothek, eine Shisha-Lounch, ein Computerraum mit freiem Internetzugang, ein Gemüsegarten und einen Spielplatz für Kinder. Die Hauptbeteiligten im Aufbau sind die Bewohner von Moria. Jeden Morgen kommen sie motiviert zur Arbeit. Ohne Bezahlung. Einfach nur, damit sie sich wieder beschäftigen können. Schreiner, Maurer, Innendekorateure und viele Mehr. Menschen aus Algerien, Äthiopien, Syrien, Irak, Nepal und vielen anderen Ländern. Sie schuften bis zu zehn Stunden am Tag. Manchmal völlig selbständig und manchmal beim mitanpacken. Egal, was es zu tun gibt. Sie helfen mit. Der einzige Lohn ist die Abwechslung, die sie erfahren, ein selbstgekochtes Mittagessen, ein paar Snacks für zwischendurch und ab und zu etwas das sie im Moment grad dringend brauchen. Schon nur ein bisschen Guthaben auf dem Handy, damit der Kontakt zur Familie nicht abbricht ist für sie genug, um sich unendlich dankbar zu zeigen. Von Schwerkriminellen in einem Hochsicherheitstrakt ist dies weit entfernt. Trotzdem bringen wir sie jeden Abend auch wieder dorthin zurück. Zurück an den Ort, an dem ich es kaum einen Tag aushalten würde. Zurück an den Ort, wo sie überwacht, kontrolliert und umzäunt sind. Es schmerzt, diese Menschen an eine solchen Ort bringen zu müssen. Es schmerzt, dass ich nicht weiss, ob sie morgen wiederkommen dürfen. Es schmerzt, zu wissen, dass sich diese Situation nicht von heute auf Morgen ändern wird. Es schmerzt, dass so etwas toleriert und gewollt wird. Es schmerzt!

Menschenrechte sind nicht verhandelbar! Trotzdem werden sie hier tagtäglich gebrochen.

Ein Kommentar zu „Schicksalsberg Moria

    Verena A. Schütz sagte:
    März 9, 2017 um 1:10 pm

    Vielen Dank für den Bericht. Es ist wichtig für mich, solche Infos zu erhalten.

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